„Türkische Ware“ – Robust, ausdauernd und fleißig

Unter dem Titel „Türkische Ware“ ahmt die Arbeit von Suna Yıldız ein altes Werbeplakat nach. Die auf dem Plakat zu sehenden Fotos stammen aus ihrem eigenen Familienalbum, aus dem die Studentin sie zu einer schwarz-weißen Grafik zusammengetragen hat. Die Aufschrift „Türkische Ware“ wurde in roter Farbe auf das Plakat gemalt und ergänzend dazu wird die Arbeit im Werbetext-Stil beschrieben:

Robust, ausdauernd und fleißig
Die „Türkische Ware“ hält, was sie verspricht: Sie ist stark, unermüdlich und sorgt für den Wohlstand in Deutschland. Gleichgültig ob am Fließband oder unter der Erde, machen Sie Gebrauch von der vielversprechenden Ware. Die „Türkische Ware“ ist besonders unkompliziert und pflegt und schützt seit über 60 Jahren die Standards der deutschen Gesellschaft. Vertrauen Sie ihr auch weiterhin Ihre Zukunft an und seien Sie gastfreundlich.

Im Oktober 1961 schloss Deutschland ein Anwerbeabkommen mit der Türkei. Die Migration von türkischen „Gastarbeiter:innen“ hat die Bundesrepublik seitdem geprägt. Mehr als 850.000 türkische Arbeitskräfte reisten nach Abschluss des Anwerbeabkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Türkei in den Jahren 1961 bis 1973 nach Deutschland ein. Mindestens jede Fünfte von ihnen war eine Frau.1 Rund 2,8 Millionen Menschen mit Wurzeln in der Türkei leben heute in Deutschland. Wie war das damals für die Menschen, die nach Deutschland kamen? Yıldız Arbeit soll u. a. auf die Wahrnehmung von „Gastarbeiter:innen“ in Deutschland und deren Biografien aufmerksam machen. Wo stehen wir als Gesellschaft? Wo wollen wir hin und wo kommen wir an? Welche Auswirkungen haben Worte? Im Fokus steht die Realitätskonstruktion mittels Verhaltensweisen und Sprache, die Menschen in „Wir“ und „Ihr“ separiert. „Während der künstlerischen Auseinandersetzung mit meiner Arbeit hat mich vor allem der Mut meiner Großeltern und Eltern, aber auch vieler anderer Menschen, die damals einen ähnlichen Schicksalsweg gegangen sind, berührt“, sagt Yıldız. Gleichzeitig seien aber viele Fragen entstanden: „Wie würde beispielsweise heute die deutsche Gesellschaft aussehen, wenn man Gastarbeiter:innen anders behandelt hätte? Oder was bedeutet es für die Betroffenen, als Gast tituliert zu werden?“, fragt die Studentin. Sie habe versucht, mit einer subtil-sarkastischen Herangehensweise diese Gedanken in einer Grafik festzuhalten.

Suna Yıldız studiert Kunst auf Lehramt und ist in der Klasse Mehrdimensionale Strategien von Vallejos und de Bruijne. Ihre Arbeiten sind konzeptueller Natur und weisen Sozial- und Rassismuskritik auf. Als Soziologin nehmen gesellschaftsrelevante Themen für sie einen wichtigen Schwerpunkt in ihrer künstlerischen Praxis ein. Zudem lässt sie ihre eigenen biografischen Erfahrungen und die ihrer Mitmenschen in ihren Arbeitsprozess mit einfließen.

Der öffentliche Raum spielt eine bedeutende Rolle für die Präsentation ihrer Arbeiten. Ein zufälliges Entdecken der Werke soll vor allem verwirren und irritieren.

Suna Yıldız kann sich gut vorstellen, „Türkische Ware“ mit anderen Fotografien aus ihrem Familienalbum weiterzuentwickeln und an öffentlichen Orten anzubringen. Ihr ist es wichtig, Menschen eine Stimme und Präsenz zu bieten, die vielleicht selbst nicht die Möglichkeit dafür haben: „Meine Arbeit soll symbolisch für alle Gastarbeiter:innen und ihren nachfolgenden Generationen stehen“, so Yıldız.

„Türkische Ware“ ist an der Plakatwand (Außenbereich) am Atrium-Eingang der Kunsthochschule Kassel zu sehen.

(Text: Çiğdem Özdemir, Suna Yıldız)

1 Vgl. https://www.deutschlandfunkkultur.de/tuerkische-gastarbeiterinnen-zwischen-heimat-und-heimweh-100.html (Abgerufen: 21.07.2022)