Ein kreatives Geben und Nehmen

Sheree Domingo hat eine haarsträubende Geschichte aus Nordkorea in einen Comic umgesetzt – und damit einen Preis gewonnen.

„Manche wahren Geschichten sind so bizarr, dass sie selbst die Fantasie auf die Probe stellen“, sagt Sheree Domingo. Und da braucht es dann eine Comic-Zeichnerin wie sie und einen Szenaristen wie Patrick Spät, die daraus ein großes Abenteuer machen. Beide wurden im Mai für ihre Co-Arbeit „Madame Choi und die Monster“ mit dem renommierten Comicbuchpreis der Berthold Leibinger Stiftung ausgezeichnet. Sheree Domingo war Meisterschülerin bei Hendrik Dorgathen in der Klasse Comic und Illustration der Kunsthochschule.

Aber der Reihe nach: Da entführte Kim Jong-il, Sohn des nordkoreanisches Diktators Kim Il-sung, 1978 den damals erfolgreichsten Regisseur Südkoreas, Shin Sang-ok. Natürlich versuchte der zu fliehen, was ihm aber eine vierjährige Lagerhaft einbrachte. Nach seiner Freilassung 1983 traf Shin seine Ex-Frau Choi Eun-hee auf einer Party Kim Jong-ils wieder. Kim hatte die beliebte Schauspielerin ebenfalls entführt, was Shin nicht wusste. Warum das Ganze? Der Despotensohn war auch Cineast! Mit Shin und Choi wollte er dem schwächelnden nordkoreanischen Kino neues Leben einhauchen. Immerhin drehten die beiden dann tatsächlich in drei Jahren sieben Spielfilme in Nordkorea, bevor ihnen 1986 die Flucht gelang. „Pulgasari“ über ein Metall fressendes Monster war einer davon. Pate standen die japanischen Godzilla-Filme. Viel Ruhm hat das Trash-Epos dem nordkoreanischen Kino allerdings nicht beschert und es verschwand in der Versenkung der Kinogeschichte.

Dort haben es Patrick Spät, geboren 1982 in Mannheim, und Sheree Domingo, 1989 in Böblingen geboren, wieder herausgeholt. Als Meisterschülerin bei Hendrik Dorgathen an der Kunsthochschule war Domingo bereits 2016 Finalistin des Comicbuchpreises mit ihrem Debüt „Ferngespräch“, das 2019 bei Edition Moderne erschien. Nach ihrem Studium in Kassel ging sie 2015 nach Berlin, wo sie seitdem lebt und arbeitet.

Der ebenfalls in Berlin lebende Autor und Lektor Patrick Spät war ebenfalls Finalist beim Comicbuchpreis (2019). „Pulgasari entdeckte ich zufällig auf Youtube. Ich habe recherchiert und hinter der Filmgeschichte zeichnete sich dann die faszinierende Entführungsgeschichte ab.“ Vor allem die Ambivalenz der Charaktere habe ihn gereizt: „Wie das Monster jenseits von Gut und Böse ist, sind auch Shin und Choi nicht eindeutig fassbar. Denn obwohl gekidnappt, sind sie auch von der Macht korrumpiert.“ Sein Skript, das reale Filmgeschichte und eine fiktive Monstergeschichte geschickt kombiniert, bot er Domingo an und sie griff zu: „Die Story hat in mir sofort starke Bilder hervorgerufen. Da konnte ich einfach nicht nein sagen.“ Die Zusammenarbeit gestaltete sich fruchtbar und bereichernd, berichten beide im Gespräch: „Die Vorlage war ja nicht in Stein gemeißelt“, so Spät. „Die Arbeit“, ergänzt Domingo, „war ein kreatives Geben und Nehmen. Manchmal hat Patrick eine Seite vorgezeichnet und ich habe am Szenario geschrieben, dann war es wieder umgekehrt. Dieser offene Austausch hat sehr viel Spaß gemacht.“

„Madame Choi und die Monster“ ist noch nicht fertig. „Bis zur Veröffentlichung im Herbst bei Edition Moderne liegen noch einige anstrengende Monate vor uns“, sagt Domingo. Aber mit der Auszeichnung und den 20.000 Euro, die sich beide teilen, gehe die Arbeit natürlich sehr viel entspannter von der Hand. Man darf auf das Ergebnis gespannt sein!

Der Comicbuchpreis der Berthold Leibinger Stiftung
Der mit 20.000 Euro dotierte Comicbuchpreis der Berthold Leibinger Stiftung ist neben dem jährlich beim Erlanger Comic Salon vergebenen Max und Moritz-Preis die wichtigste Auszeichnung für grafische Literatur in Deutschland. Die Stiftung mit Sitz in Ditzingen bei Stuttgart verleiht ihn seit 2015 an ein noch unveröffentlichtes Comic-Projekt, dessen Fertigstellung absehbar ist. Darüber hinaus werden jährlich neun Finalisten mit jeweils 2.000 Euro ausgezeichnet.

Dass die Kasseler Comic-Klasse unter Leitung von Hendrik Dorgathen zu den besten Comic-Schmieden Deutschlands zählt, belegen die vielen Auszeichnungen durch die Stiftung. Neben dem Comicbuchpreis an Sheree Domingo (mit Patrick Spät) in diesem Jahr ging auch der Finalistenpreis seit 2015 wiederholt nach Kassel: Ihn bekamen 2021: Prof. Hendrik Dorgathen; 2018: Rene Rogge und Greta von Richthofen; 2017: Sebastian Stamm; 2016: Sheree Domingo und Burcu Türker; 2015: Lea Maria Heinrich und Rene Rogge. Weitere dürften folgen.

Quelle:
www.uni-kassel.de