Hypergray
Wie verändern aktuelle Entwicklungen im Bereich der Künstlichen Intelligenz die Musikproduktion? Diese Frage stellen sich Eleonora Dieterichs und Oliver Scharf mit ihrer Arbeit Hypergray, die im Rahmen der Ausstellung Fluid noch bis zum 31. Mai in der Ausstellungshalle der Kunsthochschule Kassel präsentiert wird.
Das crossmediale Projekt bewegt sich zwischen den Polen geforderter Authentizität und technischer Möglichkeit. Es untersucht das Spannungsfeld einer global vernetzten, digitalisierten und skalierbaren KI-gestützten Produktionsinfrastruktur – und sucht darin nach der Essenz gegenwärtiger und zukünftiger Popmusik.
Durch den schamlosen Einsatz verschiedenster KI-Modelle wurde ein künstlicher Avatar erschaffen und auf die virtuelle Bühne gebracht. Lyxie Gray, so der Name dieser Figur, existiert nicht nur als Social-Media-Präsenz, sondern hat auch ein vollständiges Musikalbum hervorgebracht. Brainrot.exe umfasst acht Songs, die sich mit Phänomenen und Perspektiven auseinandersetzen, die im Zuge von Künstlicher Intelligenz und digitalen Distributionswegen entstehen. Das Album ist auf allen gängigen Musikstreaming-Plattformen erschienen – darunter Spotify, Apple Music, Tidal und viele weitere – und wurde zusätzlich in einer limitierten Auflage von 100 Stück auf Vinyl veröffentlicht.
Lyxie Gray ist womöglich der erste KI-Popstar, dessen Musik als analoges Artefakt auf Vinyl gepresst wurde. Sie verkörpert eine bewusst neutrale, weiblich gelesene digitale Identität – eine Projektionsfläche, ohne aufdringlich zu sein. Als generalisierte, synthetische Figur steht sie für eine Aufwertung der Alltäglichkeit.
In der Geschichte der Popmusik haben bereits Projekte wie Boney M oder die Gorillaz gezeigt, dass fiktionale oder künstliche Positionen großen Erfolg haben können. Hypergray knüpft daran an, geht jedoch einen Schritt weiter: Der Avatar wird hier nicht nur als Kunstfigur, sondern als Ergebnis algorithmischer Prozesse verstanden – als Produkt der digitalen Gegenwart.
Trotz aller Künstlichkeit lassen sich menschliche Bedürfnisse und Konflikte auf diesen Avatar projizieren: der Hunger nach Aufmerksamkeit, Selbstwertprobleme, Körperdysmorphie, das Gefühl der Einsamkeit oder der Druck sozialer Medien. Sie wird zum Spiegel kollektiver Empfindungen – ein Sinnbild einer „likesüchtigen“ Generation.
Gleichzeitig stellt das Projekt die Frage: Was ist ein Popstar heute überhaupt noch? Ein künstlerischer Ausdruck – oder lediglich eine Fassade, ein potemkinsches Dorf für globalisiertes Musikmarketing? Hypergray ist eine medienkünstlerische Studie darüber, wie KI-gestützte Algorithmen Inhalte erzeugen, positionieren und scheinbare Relevanz produzieren können. Hypergray ist eine kritische Auseinandersetzung mit dem Generischen in der Popkultur – und ein Ausblick auf eine mögliche Zukunft, in der Inhalte zunehmend durchschnittlicher, glatter, aber auch bedeutungsloser werden, eben Hyper-Grau.
Das Projekt wurde von Prof. Oliver Vogt und Prof. Joel Baumann betreut und entstand im Rahmen des Forschungsprojektes „Digitale Perspektiven in Kunst und Design“, gefördert durch das Hessische Ministerium für Wissenschaft und Forschung, Kunst und Kultur sowie dem AStA der Universität Kassel.
Zu den Musikvideo: