Berfin Topals Arbeiten schaffen ein Gefüge aus Raum und Diskurs

Berfin Topal steht zwar noch am Beginn ihrer künstlerischen Laufbahn und doch ist sie bereits mit ihrer Arbeit durch ihre kritische Auseinandersetzung mit aktuellen gesellschaftlich-politischen Themen aufgefallen. Mit den Worten, die künstlerische Praxis von Topal sei auf die Handlungsfähigkeit unserer Zeit abgestimmt, lobte die Jury des Rundgangs der Kunsthochschule Kassel ihre Arbeit „Still There“. Darin erzählt die diesjährige Preisträgerin der SV SparkassenVersicherung zeichnerisch das unsichtbare Leid und den Kampf der „Samstagsmütter“, die seit 1995 jede Woche in Istanbul/Türkei zusammenkommen, um nach dem Verbleib ihrer Angehörigen zu fragen, die in staatlichem Gewahrsam verschwunden sind. Topals Arbeit spannt einen Bogen über Zeit und Raum, verbindet Vergangenes und Gegenwärtiges miteinander und vereint kollektive Trauer, Wut und Hoffnung. Topals Zeichnung bringt wie ein Puzzle das Leid und die Solidarität unter den Betroffenen zusammen und steht für ihre Forderung nach Gerechtigkeit.

Als Topal mit ihrem Studium an der Kunsthochschule Kassel (KhK) begann, brachte sie schon einen künstlerischen Erfahrungsschatz mit. An der Freien Kunstakademie Mannheim (FKAM) sammelte sie theoretische und praktische Erfahrungen im Bereich der Bildenden Kunst. Aber das reichte ihr nicht aus und sie wollte sich künstlerisch weiterentwickeln. Schließlich überzeugte sie die KhK aufgrund des Lehrportfolios der Professor*innen und die Fachklassen im Studiengang Bildende Kunst. Ausschlaggebend für ihre Studienentscheidung war auch die documenta, die internationale Ausstellung für zeitgenössische Kunst, die alle fünf Jahre in Kassel stattfindet: „Als ich im Sommer 2022 die Aufnahmeprüfung an der Kunsthochschule machte, fand parallel die documenta statt, die ich besuchte. Die Präsenz einer der weltweit bedeutendsten Kunstausstellungen in Kassel bestärkte mich in meiner Überzeugung, dass diese Stadt ein inspirierender Ort ist, um Kunst zu studieren“, erklärt Topal.

Topal studiert im 7. Semester Kunst im zeitgenössischen Kontext. Das zentrale Medium ihrer künstlerischen Praxis ist die Zeichnung. Gleichzeitig aber habe sie begonnen, in den Bereichen Malerei und Druckgrafik zu arbeiten. „Besonders die Druckgrafik ist für mich eine Form, die ich für meine Projekte einsetze und weiter vertiefen möchte“, so die Studentin. Im Laufe ihres Studiums beschäftigte die angehende Bildende Künstlerin sich intensiver mit ihren kurdisch-türkischen Wurzeln: „Ich merke, dass meine eigene Herkunft und Identität als Mensch mit Migrationshintergrund in Deutschland ein wichtiger Bestandteil von mir sind und meine künstlerische Arbeit stark beeinflussen. Meine persönlichen Erfahrungen fließen in meine Projekte mit ein und schaffen auf diese Weise eine Verbindung zu größeren gesellschaftlichen Themen“, sagt Topal.

Die Entstehung der Arbeiten der Kunststudentin basiert auf intensiver Literaturrecherche. „Aber auch die Fotografie als Medium der Erinnerung inspiriert meine künstlerischen Arbeiten“, betont Topal. Als weitere Inspirationsquelle studiert Topal die Arbeiten anderer Künstler*innen, die sich mit ähnlichen Fragestellungen wie sie beschäftigen: „Ich möchte andere künstlerische Vorgehensweisen verstehen, um meine eigene Perspektive weiterzuentwickeln. Und wenn ich mich im Entstehungsprozess meines Projektes unsicher fühle, helfen mir die Einzelgespräche mit meinem Professor Christoph Keller sehr.“

Topal klingt reflektiert, authentisch und bodenständig, wenn sie über die Skills für ein Kunststudium spricht: „Man sollte offen für neue Impulse sein und verschiedene Ausdrucksformen ausprobieren. In gleicher Weise ist die Kritikfähigkeit wichtig, um das eigene künstlerische Schaffen zu hinterfragen. Außerdem sind künstlerische Prozesse oft langwierig, deshalb erfordert ein Studium Ausdauer und Selbstdisziplin.“

Mit der Exkursion nach Istanbul zu Beginn des Wintersemesters 2025/26 steht für die Klasse Kunst im zeitgenössischen Kontext ein besonderes Ereignis an. „Es wird eine besondere Reise. Wir werden unter anderem die 18. Istanbul-Biennale ‚The Three-Legged Cat‘, kuratiert von Christine Tohmé, besuchen“, freut sich Topal. Auf dem Exkursionsprogramm steht auch die kulturelle Erkundung der Megalopole als Ort des Exils und der Geschichte der armenischen, griechischen und kurdisch-alevitischen Diaspora.

Die Exkursion nach Istanbul inspiriert vielleicht Topals aktuelles Projektthema „Hoffnung“. Warum sie sich mit dem Thema künstlerisch befassen will, erklärt Topal: „Gerade in unserer heutigen Zeit, die von gesellschaftlich-politischen Krisen gekennzeichnet ist, brauchen wir alle etwas Hoffnung und damit einen positiven Blick in die Zukunft.“

(Text: Çiğdem Özdemir)