Die Vorstellung von der zündenden Idee, die geradewegs zum fertigen Produkt führt, hält sich hartnäckig. Die meisten Designer:innen beschreiben den Entwurfsprozess jedoch als eine Reise mit vielen Umwegen und Kurswechseln, die mit zahlreichen Fragen beginnt und in einer intensiven Phase umfangreicher Gespräche, Recherchen und Experimente mündet. Abgabetermine mögen die Entstehungsphase beschleunigen – ihr Ende ist jedoch erst in Sicht, wenn sämtliche konzeptionellen Überlegungen getätigt, die richtige Materialwahl getroffen und das passende Herstellungsverfahren gefunden sind, und sich diese Einzelteile sich zu einem stimmigen Ganzen fügen, dem man das Drehen und Wenden von Fragestellungen und Herangehensweisen, das Ausprobieren und Verwerfen von Lösungsansätzen, nicht mehr ansieht.
Die Ausstellung Softcore versammelt Entwürfe aus dem von Prof. Ayzit Bostan geleiteten Studienschwerpunkt Design textiler Produkte der Kunsthochschule Kassel, welche die Fertigkeiten von Designer:innen, inhaltliche Überlegungen mit handwerklichen Fähigkeiten und technischem Wissen zu kombinieren, auf eindrucksvolle Weise zeigen. Man entdeckt Kleider mit vergänglichen Stickereien, die sich wie Flugsamen beim Tragen lösen, und Fenster umschmeichelnde, transluzente Vorhänge, die aus gebrauchten Christbaumnetzen geknüpft wurden; staunt über Effekte, welche durch die Anwendung einer traditionellen fotografischen Drucktechnik auf Textilien erzielt werden und darüber, welche weiteren Qualitäten sich dem Flechtwerk eines Designklassikers durch Skalierung und einen Materialwechsel noch entlocken lassen; man wird daran erinnert, dass es die kleinen Eingriffe sind, die eine erstaunlich große Wirkung entfalten können, etwa wenn die bestehende Dienstkleidung der Kasseler Verkehrsbetriebe mit einem farbenfrohen, sinnlichen Accessoire aufgewertet wird.
Es lässt sich beobachten, wie sehr der intensive Umgang mit Materialien, Techniken und Maschinen in den Werkstätten der Kunsthochschule in die Entwurfstätigkeit der Studierenden einfließt, und in welchem Maße das Ergebnis von einem Wechselspiel zwischen inhaltlicher Auseinandersetzung und handwerklicher, produzierender Arbeitsschritte geprägt ist. Nicht eine Idee verleiht diesen Dingen ihre Form – vielfältige Gedankengänge und Lösungen kumulieren in jedem von ihnen. Im Ausstellungsraum zeigen sich die Entwürfe zwar bereits in ihrer finalen Gestalt, jedoch verschiebt sich ihre Bedeutung hier vom Gebrauchsgegenstand hin zu einem, der von einem Publikum betrachtet wird. In Softcore werden die Möglichkeiten dieser Verschiebung genutzt, um Einblicke in die Entstehungsgeschichte der gezeigten Objekte zu geben und den Blick auf sie zu weiten. Tonspuren, ein Film und das Ausstellungsdisplay lassen sie sinnlich erfahrbar werden, auch wenn sie nicht in Gebrauch genommen werden können. Dem Publikum bleibt es überlassen, den Ausstellungsraum mit Gedanken und Gesprächen darüber zu füllen, welches Eigenleben die Entwürfe wohl entfalten, wenn sie sich draußen, in anderen Räumen und Kontexten, mit ihren Träger:innen und Nutzer:innen, verselbstständigen.
(Text: Tanja Seiner, Designerin und Kuratorin)
Softcore
19.–25. Juni 2022
Ausstellungshalle, Kunsthochschule Kassel
Menzelstr. 13, 34121 Kassel
(zwischen Hörsaalgebäude u. Nordbau)
Eröffnung: 18. Juni 2022, 18 Uhr
Öffnungszeiten: 12 bis 20 Uhr