Kunst im Klinikum: Kein ästhetischer Selbstzweck

Die Wirkung von Kunst in Krankenhäusern ist ein wichtiger Faktor bei der Rehabilitation. Seit dem letzten Semester kooperieren Studierende der Klasse Neue Medien (Kunsthochschule Kassel) mit dem Klinikum Kassel.

Dr. med. Kia Homayounfar (Direktor der Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie am Klinikum Kassel) will festgefahrene Strukturen aufbrechen. Er lässt den Klinikalltag kritisch betrachten, um das Wohlbefinden der Patient:innen und Beschäftigten zu fördern. Deshalb entwickelt er zusammen mit Prof. Joel Baumann (Kunsthochschule Kassel) die Idee zum Projekt „Kunst im Klinikum“. Das Projekt geht der Frage nach, was die Menschen im Klinikum bewegt und was Kunst an diesem Ort bewirken kann. Studien zeigen, dass die Wirkung von Kunst in Krankenhäusern ein wichtiger Faktor bei der Rehabilitation ist. Beispielsweise wirken sich farblich gestaltete Räume positiv auf den Genesungsprozess der Patient:innen aus. Für die Projektrealisierung akquirierten Prof. Baumann und Dr. Homayounfar 15.000 Euro. Mit dem Fördergeld werden die Arbeitsmaterialien beschafft und der Ankauf der entstandenen künstlerischen Arbeiten für das Klinikum Kassel finanziert.

Zum Projektstart (Wintersemester 2022/23) führten die 16 Studierenden Gespräche mit den Beschäftigten im Klinikum sowie mit deren Patient:innen. Tuki Gruner gibt anfängliche Schwierigkeiten zu: „Die Atmosphäre in den Kliniken empfinde ich als beklemmend und optisch erdrückend.“ so Gruner und erklärt weiter: „Das Thema ist generell schwierig. Der Pflegepersonalmangel, die Zwei-Klassen-Medizin und die Privatisierung sind wesentliche Probleme in unserer Gesundheitspolitik.“ Deshalb hinterfragt Gruner mit einem interaktiven „Ausmalbuch“ die Klinikstrukturen: „Ich will die Menschen in der Klinik aktiv einbinden und zum Nachdenken bewegen. Beispielsweise wenn ich sie dazu animiere, ihre Gefühle zu illustrieren oder zu schildern, wie sich der Aufenthalt im Wartezimmer anfühlt“, sagt Gruner.

Die Ergebnisse der ersten Projektphase finden in unterschiedlichen künstlerischen Positionen ihren Ausdruck: von Illustrationen über Audioaufnahmen bis hin zu skulpturalen und digitalen Arbeiten. Die Arbeiten befassen sich mit dem Klinikum als Ort und den Menschen, die dort arbeiten oder versorgt werden. So skizziert Künstlerin Alix Kokula in ihrem Buch Szenen aus dem Klinikalltag. Mit dem Thema „unsichtbare Arbeit“ beschäftigt sich Vreneli Harborth: Ein Bild aus Nadeln und Garn, das im Dunkeln leuchtet, macht auf die Menschen aufmerksam, deren Arbeit unsichtbar ist. Ein anderer Studierender entwickelt eine Handy-App. Wenn App-Nutzende mit „Jungle to go“ virtuell durch ein Zimmer laufen, sollen Pflanzen angezeigt und dadurch ein neues Raumgefühl erschaffen werden.

„Uns Projektbeteiligten geht es nicht darum, dass in den Räumen des Klinikums ein Kunstwerk an der Wand hängt oder die Kunst als ästhetischer Selbstzweck dient. Unsere Arbeiten sollen dazu beitragen, dass sich die Menschen in der Klinik wohler fühlen. Gleichzeitig wollen wir damit einen öffentlichen Diskurs zu den Themen Arbeit und Aufenthalt in Kliniken fördern“, betont Gruner. Außerdem ist Gruner davon überzeugt, dass es wichtig wäre, Kunst im Krankenhaus durch eine Person für Kuration in der Personalstruktur zu implementieren: „Die Einbindung von Kunst im Krankenhaus entspricht heute einem ganzheitlichen Verständnis von Gesundheitsversorgung. Studien belegen, dass Kunst und Gestaltung sich positiv auf Patient:innen, Mitarbeitende und Besucher:innen auswirken.“

Die Studierenden befinden sich derzeit mitten im künstlerischen Gestaltungsprozess. Geplant ist, noch in diesem Jahr in einer Ausstellung die Projektergebnisse zu zeigen.

(Text: Çiğdem Özdemir)

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