Stellungnahme

Der Regierungspräsident Dr. Walter Lübcke war mit der Kunsthochschule auf besondere Weise verbunden. Für die seit 2002 bestehende Kooperation zwischen dem Regierungspräsidium Kassel und unserer Hochschule öffnete auch er die von ihm seit 2009 geführte staatliche Behörde für die Kunst. Er glaubte an die Kraft, an die Veränderung, an die Bereicherung, welche die jährliche Ausstellung „Interventionen“ möglich machte. Er setzte sich in schwierigen Momenten immer für die Freiheit der Kunst im eigenen Hause ein und scheute kein Gespräch mit den Künstler*innen. Wir wollen Walter Lübcke gedenken, mit dem wir uns durch die jahrelange Zusammenarbeit verbunden fühlen.

Nachdem Walter Lübcke 2015 auf einer Bürger*innenversammlung über eine Erstaufnahme-unterkunft für Geflüchtete informierte, folgten auf seine Verteidigung der freiheitlichen und demokratischen Grundwerte Beschimpfungen, Hassmails und Morddrohungen. Heute wissen wir, dass sein Name bereits vor 2012 auf Listen möglicher Ziele des NSU stand. Vor ein paar Wochen wurde Walter Lübcke ermordet – viele Indizien sprechen für ein rechtsterroristisches Attentat.

Jedoch geht unsere Aufgabe als öffentliche Bildungsinstitution über das Gedenken hinaus. Aktivist*innen haben vor Jahren im Zusammenhang mit dem NSU-Komplex darauf hingewiesen: „Wenn die wahren Verstrickungen nicht benannt werden, kann es immer wieder passieren.“¹ Nicht erst der Tod von Walter Lübcke sollte uns signalisieren: Rassismus betrifft uns alle. Solange es keine lückenlose Aufklärung aller rechtsterroristischen Morde gibt, müssen wir diese einfordern. Staatliche Institutionen müssen diese Aufklärung leisten, doch das passiert nicht in ausreichendem Maße ohne den Druck einer kritischen Öffentlichkeit.

Als Teil der Initiative „Weltoffene Hochschulen – Gegen Fremdenfeindlichkeit“, zeigt die Kunsthochschule Kassel Haltung gegen Rassismus, Xenophobie, Nationalismus, Antisemitismus und strukturelle Diskriminierung. Sie bekennt sich zu einem transnationalen Meinungspluralismus und steht für die Wahrung der demokratischen Werte einer mündigen, aufgeklärten Gesellschaft ein.

Diese Verpflichtung muss mehr sein, als nur ein Slogan. Dr. Walter Lübckes Wirken war geprägt vom Glauben an eine freiheitlich-demokratische Gesellschaft, die allerdings zu jedem Zeitpunkt und in jedem Moment von den in dieser Gesellschaft lebenden Menschen hergestellt werden muss. Wir dürfen niemals aufhören, diesen Glauben als Motor für unser eigenes Handeln zu verstehen.

¹ Dies ist ein Satz von Kutlu Yurtseven, Musiker und Mitbegründer der Initiative „Keupstraße ist überall“, Köln, aus: www.nsu-tribunal.de/wir/ [letzter Zugriff: 10. Juli 2019].

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Statement

District President Dr. Walter Lübcke had a very special connection with the Kunsthochschule Kassel. As part of a cooperation which existed since 2002 with the Kunsthochschule, he opened the offices of the Regional Council who`s director he had been since 2009 for Art. He believed in the power, in the change, in the enrichment made possible by the annual exhibition “Interventions.” Even in difficult moments he always advocated for the freedom of art in his own realm, and did not shy away from discussions with the artists. We want to commemorate Walter Lübcke, to whom we feel deeply connected through our many years of collaboration.

After informing an open council about an accommodation for newly arrived refugees in 2015, Walter Lübcke’s defense of liberal and democratic basic values was met with slander, hate emails, and death threats. Today we know that his name was already on the list of possible targets for the NSU before 2012. A few weeks ago Walter Lübcke was murdered–much evidence suggests that it was a right-wing terrorist attack.

But our task as a public educational institution extends well beyond commemoration. Some years ago, in connection with the NSU Complex, activists pointed out: „If the true connections are not named and laid open the events can repeat themselves.”¹ The death of Walter Lübcke shows us, and not for the first time: Racism affects us all. As long as there is no full explanation of all right-wing terrorist murders, we must continue to demand it. State institutions must supply this explanation, but this will not be sufficiently carried out without pressure coming from a critical public.

As part of the initiative “Weltoffene Hochschulen – Gegen Fremdenfeindlichkeit” [Universities for Openness, Tolerance and against Xenophobia] Kunsthochschule Kassel is taking a stance against racism, xenophobia, nationalism, anti-Semitism, and structural discrimination. It is committed to a transnational pluralism of opinion and stands for protecting the democratic values of a mature, enlightened society.

This task has to be more than just a slogan. Dr. Walter Lübcke’s actions were marked by a belief in a liberal-democratic society, but one that has to be produced from the people living in this society at each point in time and at each moment in our history. We must never stop understanding this belief as the motor for our own actions.

¹ This statement comes from Kutlu Yurtseven, musician and co-founder of the initiative “Keupstraße ist überall,” Cologne, from: www.nsu-tribunal.de/en/we-are/ [last viewed July 10, 2019].